Ein neuer Conterganskandal ist vorprogammiert -
ISOTRETINOIN, kurz "ISO" genannt, ist 10 x gefährlicher als Contergan!
Artikel von Cornelia Stolze in ZEIT WISSEN, schon 2005!
http://www.zeit.de/2..._als_Contergan:Gefährlicher als Contergan
Ein Anti-Akne-Mittel schädigt Neugeborene. Jetzt soll die Abgabe besser kontrolliert werden (- das war vor 6 Jahren, bisher ist nichts passiert!)
Es war der größte Arzneimittelskandal der Bundesrepublik, und alle waren sich seither einig: Nie wieder darf es zu einer ähnlichen Katastrophe kommen, wie sie Ende der 1950er Jahre das Schlafmittel Contergan verursachte. Millionen von Frauen - darunter viele Schwangere - hatten das Medikament schon bald nach der Markteinführung 1957 geschluckt. Denn die als gefahrlos gepriesene Pille schenkte nicht nur Ruhe und Schlaf. Sie half auch gegen Übelkeit in der Schwangerschaft. Kurze Zeit später kamen Tausende von Kindern mit schweren Missbildungen zur Welt. Als die Herstellerfirma Grünenthal - Monate nach der Entdeckung des Contergan-Wirkstoffs Thalidomid als Ursache für die Schäden und nach massivem öffentlichen Druck - das Mittel 1961 vom Markt nahm, waren 2500 Jungen und Mädchen in Deutschland missgebildet, mehr als 10 000 weltweit.
Steht nun eine ähnliche Tragödie bevor? Verdächtigt wird diesmal das Akne-Medikament Roaccutan. Immer wieder kommt es in jüngster Zeit zu Vorfällen mit dem Medikament. Allein in den USA wurden nach Berichten der US-Gesundheitsbehörde FDA in den vergangenen Jahren mehr als 2000 Frauen schwanger, während sie es nahmen. Und Hunderte von ihnen erlitten Fehlgeburten, brachten Kinder mit schweren Herz- oder Hirndefekten zur Welt.
Viele trieben schon vorher ab, aus Angst, ein körperlich oder geistig behindertes Kind zu bekommen. Auch in Deutschland sind 10 bis 20 Schwangerschaften unter Roaccutan-Therapie pro Jahr registriert. Wie hoch die Zahl wirklich ist, weiß allerdings niemand. Denn weder in den USA noch in Deutschland wurden solche Fälle bislang systematisch erfasst.
Bei seiner Markteinführung Mitte der achtziger Jahre schien Roaccutan ein Segen zu sein. Denn bis dahin waren die Dermatologen gegen schwere Akne - im Fachjargon noduläre Akne oder Acne conglobata genannt - so gut wie machtlos.
Die eitrigen Pickel hinterließen bei vielen jungen Menschen nicht nur Narben im Gesicht und am Körper, sondern auch in der Persönlichkeit. Dank des Mittels ist das Bild von akneübersäten Gesichtern auf der Straße fast komplett verschwunden. Kein Wunder, dass die Arznei in den vergangenen Jahren zum Kassenschlager avancierte. Im Jahr 2002 hatte der Umsatz in den USA eine Summe von 380 Millionen US-Dollar erreicht.
Die Kehrseite der Medaille: Kaum ein anderes Medikament ist so stark fruchtschädigend wie der Roaccutan-Wirkstoff Isotretionin. Das Fehlbildungsrisiko ist sogar zehnmal so groß wie bei Contergan. Selbst wenn eine Schwangere das Medikament nur für kurze Zeit eingenommen hat, führt es zu Missbildungen des Kindes, vor allem an Gehirn und Rückenmark, am Herzen und an den großen Blutgefäßen. Auch wenn sichtbare Schäden beim Neugeborenen fehlen, sind schwere Intelligenzdefekte, die erst später bemerkbar werden, höchst wahrscheinlich.
Hinzu kommt: Während Thalidomid nur in einer sehr kurzen Phase zu Anfang der Schwangerschaft Schäden hervorrufen kann, gilt dies bei Isotretionin während der gesamten ersten drei Monate. Und auch noch Wochen, nachdem die Frau das Mittel abgesetzt hat, ist die Gefahr nicht gebannt. Denn der Wirkstoff wird nur langsam abgebaut und aus dem Körper ausgeschieden.
Das hat jetzt sogar die oft als allzu industriefreundlich kritisierte US-Gesundheitsbehörde FDA auf den Plan gerufen. Seit Mitte August gelten in den USA für die Verschreibung des Akne-Mittels die gleichen Bedingungen wie für Thalidomid. Das wird heute wieder - unter anderem Namen und strengsten Auflagen - zur Behandlung von Lepra und einigen Tumoren eingesetzt. Wie bisher müssen alle Patientinnen in gebährfähigem Alter auch hierzulande zwei Schwangerschaftstests machen lassen, ehe sie ein Rezept erhalten. Zudem müssen sie zwei Arten von Verhütungsmethoden anwenden, solange sie das Akne-Mittel nehmen.
Die FDA hält nun jedoch schärfere Vorschriften für nötig: Neuerdings müssen sich alle Ärzte, Patienten, Arzneimittel-Großhändler und Apotheken in einem zentralen Register erfassen lassen, bevor sie das in den USA unter dem Namen Accutane vertriebene Medikament verschreiben, ausliefern, aushändigen oder erhalten dürfen. Damit will die FDA nicht nur die massenhafte Verschreibung des Mittels einschränken. Sie will auch sicherstellen, dass künftig jegliche schweren Nebenwirkungen und alle Schwangerschaften, die während einer Isotretionin-Therapie eintreten, erfasst und ausgewertet werden.
Dabei könnten sehr bald unangenehme Zahlen an die Öffentlichkeit gelangen.
Denn jene rund 2000 bekannten Fälle von Accutane-Patientinnen, die trotz aller Warnungen schwanger wurden, bilden nach Ansicht von Experten nur die Spitze des Eisbergs. Bislang waren Ärzte in den USA nämlich nicht verpflichtet, solche Problem-Schwangerschaften zu melden. Auch hierzulande, vermutet der Gynäkologe Wolfgang Paulus vom Institut für Reproduktionstoxikologie in Ravensburg, dürfte das Ausmaß der Probleme deutlich größer sein. Die wenigen Fälle, die seinem Institut oder dem Berliner Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie jährlich bekannt werden, sind nur Anfragen von Ärzten oder Frauen, die sich erkundigen, was sie nach einer Panne mit Roaccutan tun sollen. In der Regel, vermutet Paulus, läuft es anders. Wenn es zu einer Schwangerschaft gekommen ist, sind sich Arzt und Patientin meist ohne weitere Beratung einig, was zu tun ist: So schnell wie möglich abtreiben. Von diesen eindeutigen Fällen erfahren wir dann natürlich ebenso wenig wie von jenen, wo es womöglich zu einem Spontanabgang gekommen ist.
Dass es hierzulande immer wieder wegen Roaccutan zu Schwangerschaftsabbrüchen kommt, dessen ist sich auch Ulrich Hagemann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) absolut sicher. Handlungsbedarf sieht der Behördenmann dennoch nicht. Er kennt lediglich drei Verdachtsfälle, die dem BfArm seit 1990 im Zusammenhang mit Roaccutan berichtet wurden. Und selbst bei diesen Fehlbildungen - einem Kind mit Gaumen-Lippenspalte, einem mit einer Herzklappenfehlbildung und einem mit einem Neuralrohrdefekt - sei unklar, ob sie tatsächlich durch das Mittel verursacht worden seien oder rein zufällig auftraten.
Zwar lagen dem Vorgängerinstitut des BfArm, dem ehemaligen Bundesgesundheitsamt, nach Angaben des pharmakritischen Informationsdienstes arznei-telegramm schon Mitte der neunziger Jahre fünf Meldungen zu angeborenen Missbildungen in Verbindung mit Isotretionin vor. Doch dieses Wissen scheint sich - gemeinsam mit dem BGA selbst - aufgelöst zu haben. Für den Reproduktionstoxikologen Paulus steht fest: Um hier mehr Transparenz hereinzubringen, brauchten auch wir ein zentrales Register.